The Goethe-Institut's
Reading Room
Pyongyang:
Between
Object and Shadow

- Ein Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm (19. – 21. April, 2013)


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Künstler: Sara van der Heide & Sascha Pohle

Mitwirkende: Klarenz Barlow, Charles Esche,
Barbara Honrath, Lars Laumann, Jooyoung Lee,
Daniel Norregaard & Moonsick Gang, Jasna Veličković

Kurator: Christina Li

Herengracht 470, Amsterdam
Niederlande

Tür offen ab 19.00 on Freitag 19. April
Vernissage 21.00

Öffnungszeiten:
Freitag 19.00–00.00
Sammstag 16.00–00.00
Sonntag 14.00–22.00















Einleitung

Manche wollen einen Text (eine Kunst, eine Malerei) ohne Schatten, der getrennt ist von der „herrschenden Ideologie“; aber das wäre ein Text ohne Fruchtbarkeit, ohne Produktivität, ein steriler Text. Der Text braucht einen Schatten: dieser Schatten, das ist ein bisschen Ideologie, ein bisschen Darstellung, ein bisschen Subjekt: notwendige Geister, Luftblasen, Streifen, Wolken: die Subversion muss ihr eigenes Halbdunkel hervorbringen.
    — Roland Barthes, Die Lust am Text

The Goethe-Institut's Reading Room Pyongyang: Between Object and Shadow ist die zweite Ausgabe des vom Goethe-Institut initiierten Kunstprojekts Interventions. Für die Dauer eines Wochenendes verwandelt sich das Amsterdamer Institut in das inzwischen geschlossene Goethe-Informationszentrum Pjöngjang. Diese zeitweilige „Wiedereröffnung“ ist der Anknüpfungspunkt für eine Reihe von Projekten, die über den Ort und die Funktion des Instituts reflektieren – dessen frühere Aktivitäten und heutige Aufgaben. Um das Informationszentrum herum enttarnt ein vielschichtiges Abendprogramm selten in Frage gestellte Ideologien und Formen nationaler Repräsentation und begibt sich dabei in die komplexen Gefilde der Sprache und Politik, der Musik und des Lebens. Als Ganzes verschaffen diese Interventionen Einblick in die Brüche zwischen den gesellschaftlichen Einrichtungen und ihren Schatten, die unsere Alltagsexistenz in der Welt bestimmen.

Mit seinen derzeit 149 Instituten und 10 Verbindungsbüros in 93 Ländern liegt die Hauptrolle des Goethe-Instituts seit seiner Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg in der weltweiten Förderung der deutschen Sprache und Kultur. Für jüngere Generationen mag die Anwesenheit eines Goethe-Instituts in Amsterdam oder in einer beliebigen anderen westeuropäischen Stadt überflüssig erscheinen. Zum Gründungszeitpunkt – 1951 – war die Beziehung des (geteilten) Deutschlands zu seinen Nachbarn allerdings noch wesentlich turbulenter und der Bedarf an kultureller Diplomatie eine Frage der Notwendigkeit. Was bedeutet Kultur- und Sprachförderung 2013, angesichts unseres heutigen Verständnisses nationaler Identität im Sinne einer komplexen und heterogenen Konstellation?

Was die Tätigkeit des Instituts außerhalb Europas betrifft, gilt, dass gerade die spezifische Geschichte des 2009 auf Grund nordkoreanischer Zensur geschlossenen Goethe-Informationszentrums in Pjöngjang eine wesentlich differenziertere Reflexion über die Roller westlicher Kulturinstitutionen in geschlossenen Systemen oder neugebildeten Demokratien verlangt, insbesondere wenn es darum geht, Räume „selbstbestimmten“ kulturellen Ausdrucks zu schaffen. Das fesselnde Bild einer Wissensinsel inmitten Pjöngjangs – und im weiteren Sinne die Möglichkeit für die Nordkoreaner in diesem Rahmen Informationen von außen zu beziehen – war einer der Ausgangspunkte dieses Projekts. Von der Geschichte inspiriert, verursacht Sara van der Heides Wiedereröffnung des Goethe-Informationszentrums Pjöngjang in Amsterdam eine geographische und zeitliche Verschiebung, bei der neue und bestehende Arbeiten sowie Gastbeiträge in einen Zusammenhang überführt werden, der die Geschichten Deutschlands mit denen des immer noch geteilten Koreas miteinander verbindet und sich dabei kritisch mit der Rolle des Goethe-Instituts im Allgemeinen auseinandersetzt. Dieses aufs Neue realisierte Informationszentrum, das wie eine Art Katalysator funktioniert, wird zu einem Raum der Spekulation, in dem unter einem Dach die Geschichten der Goethe-Institute in Pjöngjang und Amsterdam miteinander verschmelzen.

Sascha Pohles neues Auftragswerk konzentriert sich dagegen hautsächlich auf den Kontext der Niederlande und die Geschichte der hiesigen Dependance des Goethe-Instituts, indem er im Dachbodenarchiv gefundene 16-mm-Filme untersucht, die von verschiedenen Programmen im Rahmen der Sprach- und der Kulturarbeit des Instituts in den 1970er und 1980er Jahre übrig geblieben sind. Pohles ästhetische Nachforschungen haben zum Ziel, die Bedeutung und Funktion dieses vergessenen Archivs im heutigen Goethe-Institut zu bestimmen und bieten dem Publikum einen einmaligen Einblick in diese Amsterdam-spezifische Sammlung. Zusätzlich wird über zwei Abende verteilt eine Auswahl der Filme gezeigt.

Jenseits dieser Auseinandersetzung mit der Konstruktion nationaler kultureller Identität vor dem Hintergrund nationaler kultureller Archive (wie die des Goethe Instituts) begleitet ein Abendprogramm mit Musik und Performances das Projekt. Da ist beispielsweise Klarenz Barlows Hörspiel mit dem Titel Deutscher Sang (1982), das – ursprünglich ein Auftragswerk für das Funkhaus Frankfurt – auf ironische Weise die Entwicklung eines Musikstücks im Kontext der unterschiedlichen Nationalismen des zwanzigste Jahrhundert nachzeichnet. Die Komponistin Jasna Veličković dagegen greift in die Meisterwerke Bachs und Chopins ein. In Good Bach und Shadow Study #4 behandelt sie diese wie Ready-mades, die es vermögen, die besondere Rolle des Instruments und des Pianisten beim Erschaffen einer neuen Klangwirklichkeit aufzuzeigen. Zusätzlich findet eine dreisprachige Lesung von Interviewausschnitten und Erzählungen aus dem Buch statt, das Jooyoung Lees umständliche Forschung zu Nordkorea dokumentiert. Als Aufzeichnung ihrer offenen Begegnungen mit einem nordkoreanischen Übersetzer in Berlin und einem ostdeutschen Pjöngjang-Besucher schafft das Werk eine Gegenrealität zu der oft eindimensionalen Repräsentation des Landes und seiner Bewohner. Die Gesamtheit der Veranstaltungen fällt unter die erweiterten Öffnungszeiten des Goethe-Instituts, was eine zeitliche Verbindung zwischen den Zeitzonen Pjöngjangs und Amsterdam zu Stande bringt.

Angesichts der unlängst beschlossenen Schließung des Institut Néerlandais in Paris stellt das Projekt Fragen über die Rolle nationaler kultureller Einrichtungen als Bewahrer von Kulturgeschichte(n), insbesondere in postkolonialen und -kommunistischen Kontexten. Durch die Enthüllung der facettenreichen Erinnerungen, Stimmen und Wirklichkeiten fordert Goethe-Informationszentrum Pjöngjang: Zwischen Ding und Schatten das Publikum dazu auf, einen eigenen Eindruck von der Arbeit und Bedeutung nationaler kultureller Institutionen zu gewinnen, verliert dabei aber gleichzeitig nicht die Ideologien hinter der Ordnung kultureller Strukturen aus den Augen, die unsere Weltwahrnehmung beeinflussen und bestimmen.

–Christina Li



The Goethe-Institut's Reading Room Pyongyang in Amsterdam

"Wir wagen ein Experiment, denn wir wollen als Erste dabei sein, wenn Ihr Land beginnt, sich zu öffnen."

Mit diesen Worten eröffnete die ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach am 2. Juni 2004 im geschlossenen kommunistische Nordkorea die „Vermittlungsstelle für deutsche wissenschaftliche und technische Literatur im Goethe-Informationszentrum Pjöngjang“. Auch bekannt als Deutscher Lesesaal Pjöngjang, war diese außerordentliche Initiative möglicherweise von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Letztendlich existierte der Lesesaal nicht länger als fünf Jahre. Über eine Zeitspanne von zwei Jahren wurde der Inhalt des Raums ausgehandelt – während die nordkoreanische Regierung auf akademischer Fachliteratur zu Naturwissenschaft, Technologie und Medizin bestand, drängte das Goethe-Institut darauf, dass sich doch zumindest die Hälfte aller Bücher mit deutscher Kultur, Sprache, Literatur und Musik befassen sollten. Ganz wesentlich war, dass das örtliche Publikum freien Zutritt hatte und keinerlei Zensur stattfand. Später wurde jedoch bekannt, dass die nordkoreanischen Autoritäten probierten, Menschen den Zutritt zum Lesesaal zu verwehren, und dass diese auch versuchten, den Inhalt zu zensieren. Das Ergebnis war, dass der Lesesaal 2009 geschlossen wurde.
Im Verlauf eines Wochenendes verändert sich das Goethe-Institut Amsterdam in den inzwischen geschlossenen Deutschen Lesesaal Pjöngjang. Diese temporäre Intervention ist eine imaginäre Verwandlung des jetzigen Gebäudes und wirft eine Reihe nichtgestellter Fragen auf, die sich während der Recherchen zu den politischen und historischen Umständen der Eröffnung und Schließung des Lesesaals Pjöngjang abzeichneten. Anstatt einfache Antworten zu finden, stieß ich bei meinen Erkundungen auf weitere Verwicklungen: Was sagt der Lesesaal als Geste über den eher optimistischen diplomatischen Zeitgeist im Jahr 2004? Auf welche Weise ebnete die Freundschaft zwischen der ehemaligen DDR und Nordkorea implizit und explizit den Weg für die Verhandlungen, die diesen möglich machten? Was bedeutete es für ein Land wie Deutschland, das nur 16 Jahre nach der Wiedervereinigung Selbstbewusstsein entwickelte, durch die Eröffnung eines Lesesaals in einem totalitären kommunistischen Regime wie Nordkorea für demokratische Werte zu werben? Wie definiert sich Deutschland mittels der weltweiten Aktivitäten des Goethe-Instituts neu, insbesondere im Hinblick auf seine eigene Vergangenheit – oder vielleicht trotz dieser? Und welche chamäleonartige Rolle müssen die Künste im kaleidoskopischen Feld politischer und diplomatischer Interessen spielen?

– Sara van der Heide












Programm

FREITAG, 19. April

21:00
Begrüßung durch Barbara Honrath

21:15
Lesung von Auszügen aus Fantasy Residency in North Korea: Please don’t take off the lids. The pots are empty – ein Buch von Jooyoung Lee

22:15
Vorführung von Lars Laumanns Berlinmuren (2008)








Lesung von Auszügen aus Fantasy Residency in North Korea: Please don't take off the lids. The pots are empty
– ein Buch von Jooyoung Lee

Während sie an Residency-Programmen auf der ganzen Welt teilnahm, begann Lee sich zu fragen, wie es wohl wäre, ein Gastkünstler in Nordkorea zu sein. Auf Grund der Unmöglichkeit, selbst in diese Region zu reisen, dachte sich Lee einen Phantasieaufenthalt in Nordkorea aus, ausgehend von ihren Erfahrungen des Lebens in Berlin. Korea und Deutschland zeigen nicht nur in ihrer geteilten Geschichte Parallelen auf, wie Lee im Verlauf des Projekts herausfand, das sie während eines zweimonatigen Arbeitsaufenthalts in Berlin entwickelte. Die Ergebnisse ihrer Forschungen – welche die Verwandlung eines Teils der nordkoreanischen Botschaft in eine Jugendherberge beinhalteten, wie auch Gespräche mit einem Nordkoreaner und einem Ostdeutschen, der nach Nordkorea gereist war – resultierten in einem Buch, das sich mit den Gegenständen und Geschichten Nordkoreas auseinandersetzt, denen Lee in Berlin begegnet war. Während der Lesung teilen verschiedene Darsteller ausgewählte Ausschnitte auf Koreanisch, Englisch und Deutsch mit dem Publikum, das auf diese Weise dazu aufgefordert wird, in die Erzählungen und die Erinnerungen an einen anderen Ort und eine andere Zeit einzutauchen und die Komplexität dieser veränderlichen und zeitweilig zusammengeführten Geschichten zu umarmen.

Ausführende: Seungyong, Moon, Gwen Parry und Hartmut Wilkening

Jooyoung Lee (Daegu, KR, 1971) ist ein Künstler lebt und arbeitet in Seoul, Südkorea.


Berlinmuren (2008) von Lars Laumann
Video, 23 min.

Im Video Berlinmuren, gibt es drei Protagonisten: Zwei Frauen und die Berliner Mauer. Eine der Frauen, die behauptet mit der Berliner Mauer verheiratet zu sein, konstatiert: “Die Mauer hat nicht darum gebeten, gebaut zu werden, wie Menschen nicht darum beten, geboren zu werden.“ Wenn man die Mauer als beseeltes Ding betrachtet, so ist dies mit der Idee eines Lebenszyklus der Dinge verknüpft – sie werden geboren, wachsen, erlangen die volle Reife und sterben schließlich. Im Fall Deutschlands wurde die Mauer 1989 nach Ende des Kalten Krieges abgerissen und „starb“. Dieses Symbol der geteilten Geschichte Deutschlands ist jetzt nur noch in der Dokumentation und den Überresten zu erfahren. Im geteilten Korea dagegen ist die 250 km lange und 4 km breite Demilitarisierte Zone (DMZ) noch immer sehr lebendig.

Lars Laumann (Oslo, NOR, 1977) ist ein Künstler lebt und arbeitet in Brüssel.
SAMMSTAG, 20. April

20:00
Gespräch zwischen Barbara Honrath
und Charles Esche

21:15
Filmprogramm:

    Mensch und Kunstfigur (1969)
    Doppelkonzert (1963)
    Begegnungen (1969/70)
    Das Deutsche Dilemma (1982)







Gespräch zwischen Barbara Honrath
und Charles Esche

Barbara Honrath ist Direktorin des Goethe-Instituts Amsterdam. Charles Esche ist Direktor des Van Abbemuseums und hat viel Erfahrung mit kuratorischer Arbeit in postkommunistischen Kontexten. Das Gespräch dreht sich um die Bedeutung, die der internationale Kulturaustausch in totalitären Regimen haben kann, und befasst sich mit der Frage, welches Potenzial und welche Gefahren darin liegen, Kunst und Kultur als Katalysator einzusetzen, wenn es darum geht, Raum für Dialog zu schaffen. 2011 brachte das Van Abbemuseum Picassos Buste de Femme (1943) nach Ramallah, Palästina. Die Entfernung dieses Meisterwerkes aus seinem gewöhnlichen Kontext eines europäischen Museums wird zum Vergleichspunkt für die temporäre imaginäre Verwandlung des Goethe-Instituts Amsterdam in den deutschen Lesesaal Pjöngjang.


Filmprogramm

An zwei Abenden präsentiert Sascha Pohle ein Programm mit ausgewählten Filmen aus dem 16-mm-Bestand des Goethe-Instituts Amsterdam. Während die Ausstellungsarbeit von Pohle, Crippled Symmetry (Verkrüppelte Symmetrie), eine eher distanzierte und formalistische Annäherung an das Filmmaterial dokumentiert, erwecken die Vorführungen die Filme selbst – zuletzt gesehen vor Jahrzenten – zu neuem Leben. Die Zusammenstellung des gezeigten Filmmaterials stellt Auffassungen über visuelle Übersetzung heraus, ermöglicht aber gleichzeitig auch die Verbindung mit einer Vielzahl an Themen, die im weiteren Rahmen des Projekts The Goethe-Institut’s Reading Room Pyongyang: Between Object and Shadow artikuliert werden.

Am ersten Abend wird eine Gruppe Filme gezeigt, die sich mit Problemen in der weiten Welt befassen. Begegnungen und Doppelkonzert machen die Sprach- und Kulturaktivitäten des Goethe-Instituts in Nigeria, Ägypten und Indien in den 1970er Jahren anschaulich. Ein Gegenwartsprogramm, Das Deutsche Dilemma, verschafft Einblicke in die kulturellen Debatten um das geteilte Deutschland. Daneben findet sich Margarete Hastings Film über Oskar Schlemmers Triadisches Ballett, in dem die Einfassung der Figuren durch den Raum als visuelle Metapher für die Zusammenstellung dieses Programmabschnitts herhalten könnte.

Die Filme werden in Deutscher Originalfassung ohne Untertitel gezeigt.

SONNTAG, 21. April

18:30
Filmprogramm:

    Reflektorische Farblichtspiele (1967)
    Dr. Murkes gesammeltes Schweigen (1964)
    Antithese (1965)
    Boot aus Stein (1981)

21:15
Shadow Study #4 von Jasna Veličković

21:25
Deutscher Sang von Klarenz Barlow

21:55
Good Bach von Jasna Veličković


Filmprogramm

Der letzte Abend des Wochenendes ist Form und Material gewidmet: Von Kurt Schwerdtfegers Reflektorische Farblichtspiele und einer Fernsehverfilmung von Heinrich Bölls Dr. Murkes gesammeltes Schweigen zu Mauricio Kagels experimentellem Musikfilmstück Antithese sowie dem Film Boot aus Stein, der Hannsjorg Voths eindrucksvolles Projekt dokumentiert, bei dem er ein steinernes Boot in einer Pyramide, die auf dem Ijsselmeer trieb, baute.

Die Filme werden in Deutscher Originalfassung ohne Untertitel gezeigt.


Shadow Study #4 (2009) von Jasna Veličković
Für Klavier, vier elektromagnetische Drahtspulen/Hände, 7 min.

Shadow Study #4 baut auf Frederic Chopins Prélude op. 28 Nr. 4 in e-moll auf, die auf einer einfachen Melodie basiert, gleichzeitig aber eine Sprache komplexer Obertöne entwickelt.

Veličković lenkt die Aufmerksamkeit der Zuhörer von der Melodie und Begleitung in Chopins Prélude zu den Resonanztönen, die das bespielte Instrument hervorbringt. In ihrem Stück wählen zwei Pianisten jeweils höchstens vier Noten von den bis zu 15 Noten pro Takt und bringen die Klaviersaiten zum schwingen, indem sie Drahtspulen platzieren, welche über diesen die Aufnahme von Chopins Prélude übertragen. Auf diese Weise wird die Obertonentwicklung der Prélude auf das akustische Phänomen der schwingenden Saiten ausgedehnt und eröffnet so unendliche Klangmöglichkeiten für Shadow Study #4.

Das Klavier – quasi ein „Abdruck” der Chopin-Prélude – dient als Werkzeug: Es übernimmt die Funktion eines Lautsprechers. Oder, wie man auf einem Metaniveau konstatieren könnte: Es wird zum „Post-Piano“. Letztendlich ist der gehörte Klang nicht mehr als ein Schatten eines bestehenden Musikstücks. Die Prélude selbst wird zu einer Art Ready-made, obschon im Prozess der Darbietung die alte auch eine neue Klangwirklichkeit hervorbringt.

Ausführende: Jasna Veličković und Nora Mulder

Jasna Veličković (Belgrade, SRB, 1974) ist Komponistin und experimentelle Pianistin. Sie lebt und arbeitet in Amsterdam.


Deutscher Sang von Klarenz Barlow
(Hörspiel, 30 min.)

Deutscher Sang ist eine Auftragsarbeit für die Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks, Frankfurt am Main. Das Thema des Hörspiels – Nationalismus – wird durch Barlow mit einem sicheren Sinn für Ironie neuinterpretiert, indem er alle Telefonbucheinträge, die mit dem Wort „deutsch“ anfingen, durch einen Engländer einsprechen ließ.

Ein zweiter Aspekt der Radioarbeit ist Haydns Emperor melodie, die als österreichische Hymne in Gebrauch war, bevor die deutschen Autoritäten sich diese 1922 als Nationalhymne aneigneten. Danach wurde das Stück durch das Naziregime übernommen und schließlich durch die heutige Bundesrepublik. In Barlows Werk wird Haydns Melodie auf einer mittelalterlichen Geige aufgeführt und als Obertöne notiert, was sie zwei Oktaven höher als normal erklingen lässt. Die Aufnahme wurde außerdem viermal so langsam gespielt, wodurch die Tonlage herabgesetzt und die Melodie verlängert wurde.

Danach wurden die zwei Aufnahmen als zwölfteiliger Kanon mit graduell abnehmender Zeitverzögerung aufbereitet, während das Volumen der Mitteltonfrequenzen in der gesprochenen Tonspur stetig reduziert wurde. Gegen Ende kulminiert das Stück in einem Schlusschoral – der Text der deutschen Nationalhymne, wie er bis zum Fall des Dritten Reichs gesungen wurde: „Deutsche Frauen, deutsche Treue / Deutscher Wein und deutscher Sang” Der Text wurde phonetisch rückwärts zur Haydn-Melodie eingesungen, die in der Art des 14. Jahrhunderts umgekehrt harmonisiert ist. Barlow veränderte anschließend die Bandrichtung, was in einem sich unbehaglich fortbewegenden Text über einer umgekehrten Melodie mit vorwärts gerichteter Harmonie resultierte.

Stimme: Tom Mohan
Violine: Margriet Tindemans
Chor: Ensemble Sequentia

Klarenz Barlow (Calcutta, IN, 1945) ist ein Komponist und Professor für Komposition an der University of California in Santa Barbara.


Good Bach (2001/2004) von Jasna Veličković
Für Klavier und CD, 4 min.
Ein Stück inspiriert durch Tractatus Logico-Philosophicus.

In diesem Werk wird eine Aufnahme der Aufführung von Bachs C Major Prelude und Fugue idurch Glenn Gould abgespielt, während die Pianistin, Veličković selbst, mit der Aufnahme interagiert, indem sie ihre eigene Komposition zum Gehör bringt. Für dieses Stück wurde eine statistische Methode auf die gleichen Noten wie die des Bachwerks angewandt – diese wurden von der tiefsten bis zur höchsten Tonlage neu angeordnet. Es unterscheidet sich damit von der Logik traditioneller Musikstile. Veličković problematisiert hier sowohl die Spieltechnik als auch Status und Funktion des Klaviers als Instrument. Insbesondere in diesem Stück wird die gewöhnliche Kette “Komponist-Partitur-Ausführender-Klang” abgewandelt; Bachs Noten werden zu einer Gruppe Spuren – ein Muster in der demontierten Medien- und Konzeptphänomenologie des Werks. Der Zuhörer wird demnach mit beiden Kompositionen gleichzeitig konfrontiert – in ihrer Überschneidung entsteht eine dritte.

Good Bach wurde bereits zu früherem Zeitpunkt durch den Pianisten Dante Boon im Goethe-Institut Amsterdam aufgeführt – am 3. Februar 2008, in der Konzertreihe Piano Lab.Amsterdam..

Klavier: Jasna Veličković




Berlinmuren, Lars Laumann, 2008

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Shadow Study #4, Jasna Veličković, 2009

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Deutscher Sang, Klarenz Barlow, 1982

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A conversation with Kyung-chul Hyon, from the book "Fantasy Residency in North Korea:Please don't take off the lids. The pots are empty", Jooyoung Lee, 2010

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Ausstellung

Sara van der Heide
DEUTSCHER LEESESAAL PJÖNGJANG, 2013


Mehrere Poster und Beschriftungstafeln, verteilt über das Goethe-Institut, Konzept: Sara van der Heide; Design: Moonsick Gang und Daniel Nørregaard; von der Straße aus sichtbare Tafeln mit koreanischen Schriftzeichen: Moonsick Gang.

Die Liste der Bücher, DVDs und CDs, die im Deutschen Lesesaal Pjöngjang zwischen 2004 und 2009 verfügbar waren, wird im Standort auf der Herengracht offengelegt. Indem alle niederländischen Texte, die im Goethe-Institut Amsterdam normalerweise anwesend sind, mit koreanischen ersetzt werden, verwandelt sich der Ort von einem Platz in den Niederlanden zu einem in Nordkorea. Der einzige stabile Faktor in diesem Wechsel ist die deutsche Sprache, die immer dieselbe bleibt – unabhängig davon, wo sich das Goethe-Institut befindet. Moonsick Gangs gemaltes Schild, ausgestellt in den Fenstern zur Straßenseite, kann aus dem koreanischen als Institut für deutsche Kultur übersetzt werden. Seine temporäre Umbenennung macht uns unserer eigenen kulturellen Position und ihrer Artikulierung mittels Sprache bewusst.


Weitere Beteiligte Grafiker

Ara Ahn, O hezin, Yongwan Jeon, Donghun Kang, Yunghun Kang, Aram Kim, Hyungjae Kim, Kyoungtae Kim, Sung Kim & Hyojin Lee, Seungyong Moon & Chris Lee, Heesun Seo, Donghyeok Shin, Dokho Shin



JOHANN WOLFGANG VON GOETHE HAT EIN HAUS AN 160 ORTEN, 2013
160 VISTENKARTEN

Auf 160 Visitenkarten ist der Namensgeber des Goethe-Instituts abgebildet, Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), zusammen mit der Adresse des jeweiligen Goethe-Instituts. Diese vertrauten Objekte bieten die Möglichkeit, die Allgegenwart und fortbestehenden imperialen Implikationen nationaler Kulturinstitute in einer globalisierten Welt vor Augen zu führen.


ZUR FARBENLEHRE; FARBE UND HINTERGRUND (NACH GOETHE), 2011
Ölfarbe auf Leinwand, Holz und Glasprisma, 2,4 m (H) x 2 m (B)

Aus Goethes Projekt Zur Farbenlehre geht eine faltbare Standtafel mit demselben Titel hervor (1805). Diese zeigt abstrakte Farbfelder und ist im Goethe-Institut zur Schau gestellt. Die Komposition und primären Farben der Abbildung erinnern unwillkürlich an die abstrakte Malerei des frühen 20. Jahrhunderts, wie die des niederländischen Künstlers Piet Mondriaan. Die Tafel Zur Farbenlehre ist ein Beispiel für Goethes Farbschemata, die sich auf Isaac Newtons Entdeckung beziehen, dass Licht sich aus unterschiedlichen farbigen Teilchen zusammensetzt. Goethes Ansatz war kontextorientierter, indem er aufzeigte, dass Hintergrundfarben eine wichtige Rolle spielen für das Sichtbarwerden anderer Farben, wenn sich Licht in einem Prisma bricht. Dieser Verweis auf die Wissenschaft und Ästhetik des 19. Jahrhunderts erinnert auf melancholische Weise an den Einfluss des Denkens der Aufklärung auf unsere eigene zeitgenössische Weltwahrnehmung.

Sara van der Heide (Busan, KR, 1977) ist eine in Südkorea geborene, niederländische Künstlerin. Sara van der Heide lebt und arbeitet in Amsterdam.
Sascha Pohle
CRIPPLED SYMMETRY, 2013
Installation mit Diaprojektionen

Sascha Pohles Auftragsarbeit basiert auf einer Untersuchung der 16-mm-Filme des Goethe-Instituts Amsterdam. Deren Fund in Metallkisten auf dem Dachboden des Instituts warf Fragen über den Status dieses Filmbestands auf: Handelte es sich um ein Archiv, eine Sammlung oder einfach um „Lagerbestände“? Ursprünglich Teil einer größeren Anzahl von Filmen, die von den 1960er bis zu den 1980er Jahren an verschiedene Goethe-Institute zu Programmierungszwecken distribuiert wurde, erzählt diese Filmgruppe die Geschichte der Amsterdamer Dependance des Goethe-Instituts während dieser Zeit. Das Projekt von Sascha Pohle beschäftigt sich mit der Frage der Bedeutung dieses Überbleibsels für das heutige Institut und befasst sich mit dem Archiv als einer Art Schatten der Erinnerung, das Geschichte gleichzeitig ver- und enthüllt – es bewegt sich mehrdeutig zwischen An- und Abwesenheit.

Crippled Symmetry ist eine Installation mit zwei Diaprojektionen und der Versuch, die Darstellung eines Archivs neu zu verhandeln, indem dieses auf eine abstrakte Form reduziert wird. Eine der Diaserien zeigt geometrische Gegenstände, deren Ursprung auf den ersten Blick ungewiss ist – lediglich in der Wahrnehmung der zweiten Projektion beginnt sich eine Beziehung zu offenbaren.

In der ersten Diaserie sind die umgedrehten leeren, schwarzen quadratischen Archivkartons der 16-mm-Filme, ohne dass diese mehr von sich Preis geben, in unterschiedliche ornamentale Formationen auf einem Parkettboden arrangiert. Die Kästen fungieren als negative Räume der abwesenden Filmrollen, unregelmäßig angeordnet auf dem bestehenden Bodenmuster. Pohles Ornamente reagieren auf andere Elemente der umgebenden Architektur des 19. Jahrhunderts, wie beispielsweise die Wand- und Bodenfließen, Räume, deren Wände teils mit gemusterten Tapeten und Holzvertäfelungen bedeckt sind, die ausgeschmückten Glasfenster an den Längsseiten der Haupttreppe und die Stuckverzierungen über den Bögen der Durchgänge. Die projizierten Dias zeigen ein Bild der Salonräume aus der Vogelperspektive: Spuren der räumlichen Intervention Pohles. Die Gesamtheit dieser Arrangements katalogisiert den gesammelten visuellen Vorrat des Künstlers und weckt Assoziationen mit einer Bandbreite kultureller Motive.

Die zweite Serie in der Installation zeigt die eigentlichen Filmdosen, nun sichtbar mit ihren farbigen Etiketten und Filmtitel, darunter Faust, Das Triadische Ballett, Deutschstunde und Von Helgoland bis zur Zugspitze. Die Standbilder, die hier zum Einsatz kommen, bewegen sich zwischen Dokumentation und Animation, jedes Bild nicht mehr als ein Punkt auf einer rotierenden Scheibe.

Die gesammelten Filmtitel können als Porträt der Institutsgeschichte und immer noch gültigen Programmatik eines nationalen Kulturerbes aufgefasst werden. Im Rahmen der Ornamentik sprechen sie jedoch eine Mischsprache, die man auch mit der komplexen Geschichte dekorativer Muster und deren Formenwanderung in Zusammenhang bringen könnte, die den Kontext des lokalen und nationalen Kulturerbes überschreitet und über große Zeiträume hinweg ihre ursprüngliche Genealogie verloren hat. Pohles Titel, Crippled Symmetry (auf Deutsch: Verkrüppelte Symmetrie), ist dem Werk des Komponisten Morton Feldman entliehen, der sich für die asymmetrische Abweichungen in den Mustern türkischer Nomadenteppiche begeisterte.

Sascha Pohle (Dusseldorf, DE, 1972) lebt und arbeitet als Künstler in Amsterdam und Düsseldorf.




Zur Farbenlehre; Farbe und Hintergrund
(Nach Goethe)
, Sara van der Heide, 2011



Crippled Symmetry, Sascha Pohle, 2013




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Impressum

Design: Daniel Nørregaard
& Moonsick Gang

Schrift: Gothic

Fotografien: Artists
Texte: Christina Li und Künstler
Redaktion der englischen Texte: Clare Butcher
Übersetzung: Jennifer Steetskamp (Deutsch), Yunjoo Kwak (Koreanisch)

The Goethe-Institut's Reading Room Pyongyang: Between Object and Shadow ist Teil des zweiten Jahrgangs vom Kunst Wochenende, initiiert vom Goethe Institut in Amsterdam

Das Projekt wurde mitfinanziert durch AFK (Stiftung für Kunst Amsterdam).



Das Projekt wurde ebenfalls möglich gemacht durch die großzügige Unterstützung von Barbara Honrath und Melanie Bühler, Barbara Mulzer, Wolfgang Schreiber, Mitarbeiterinnen des Goethe-Instituts Amsterdam,
der Zentrale des Goethe-Instituts in München und Uwe Schmelter.



Die deutsche Marke Warsteiner, die eine starke Bindung zur internationalen Kunstszene hat, unterstützt das Ausstellungsprojekt im Goethe-Institut.














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